Lebendiges Denkmal: Der Kölner Melatenfriedhof

Der Melatenfriedhof. Früher wurden hier Menschen hingerichtet und Leprakranke untergebracht. Seit 1810 ein Ort, auf dem die Kölner Bürger ihre letzte Ruhe finden. Trotz des allgegenwärtigen Themas Tod ist die denkmalgeschützte Grünanlage im Herzen Kölns eine Heimat für viel unterschiedliches Leben. Doch das tierische Gewimmel und Gewusel auf Melaten, wie der Kölner den Friedhof knapp nennt, ist auch eine Herkulesaufgabe für Denkmalschützer.

Es ist kalt auf dem Melatenfriedhof, während man verlassen inmitten von alten Grabmälern auf einer der vielen Alleen steht. So alleine, wie man sich manchmal fühlt, ist man aber ganz und gar nicht. In einer schattigen, mit Büschen bewachsenen Ecke raschelt es. Bevor man sich versieht, flitzt ein kleiner Rotfuchs zwischen zwei Gräbern über den Weg und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist, zurück ins schützende Dickicht.

Anstelle des Fuchses hätte es auch ein Kaninchen, eine Katze oder ein Marder sein können. Diese sind nämlich nur einige der vielen Tiere, die auf dem Gründenkmal Melaten ihr Zuhause finden. Lässt man seinen Blick entlang der Bäume hoch gen Himmel schweifen, sieht man die verschiedensten Vögel, wenn man ihren Gesang, der die Stille der Grünanlage durchbricht, nicht schon vorher bemerkt hat. Dompfaff, Blaumeise, Grünfink, Rotkehlchen, Specht, Kleiber, Dohle oder Star sind nur eine Auswahl aus den über drei Dutzend heimischen Vogelarten auf Melaten. Besonders interessant und auffällig sind die grünen Alexandersittiche und ihre Geschichte. Die bunte Papageienart soll bereits in den 60er-Jahren aus dem Kölner Zoo entflohen sein und sich unter anderem auf dem Melatenfriedhof niedergelassen haben. Während eines schweren Sturms Ende der 1990er Jahre wurde über die Hälfte der Alexandersittiche verstreut oder gar getötet. Doch bis heute sieht man besonders viele Kinder, die an der auffälligen Papageienart ihren Spaß haben und zwischen Hochkreuz und Kriegerdenkmal, wo man diese Vögel am häufigsten antrifft, ihre Schreie imitieren. Wohlgenährte Tauben streunen über den Friedhof, um sich in aller Seelenruhe auf der Suche nach etwas Essbarem umzuschauen. Die zahlreichen Fledermäuse sind natürlich nicht so einfach zu entdecken, denn sie kommen erst in der Abenddämmerung heraus, um Nahrung zu suchen. Die meisten Vogelarten sind an den Wasserstellen zu beobachten. Die Friedhofsverwaltung betrachtet die Vielfalt der Tiere mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn dank des Treibens der Lebewesen herrscht auf Melaten alles andere als Grabesstille.

Vogelgesang statt Autolärm – Blätterrauschen statt Straßenbahn

Weniger scheu, aber dafür umso flinker zeigt sich ein Eichhörnchen, welches ohne Probleme einen Baum erklimmt. In den Alleen mit den höchsten Bäumen fühlen sich die kleinen Nagetiere am wohlsten. Die stark befahrenen Verkehrsstraßen, die rund um Melaten verlaufen, kann man nur erahnen. Die Parkanlage bildet eine grüne Oase inmitten der Stadt. Durch die Filterwirkung der Blätter und durch die hohe Luftfeuchtigkeit entsteht ein angenehmes Mikroklima, das sich deutlich vom Stadtgebiet unterscheidet. Vogelgesang statt Autolärm. Blätterrauschen statt Straßenbahn. Doch weder Tiere noch Pflanzen scheren sich um den Denkmalschutz. Zahlreiche Flechten siedeln sich zum Leidwesen der Denkmalpfleger auf den Steinen an und sind ein Beweis für das gesunde Klima, das einen idealen Lebensraum für viele Lebewesen bietet. Doch die Melatener Biosphäre kann man nicht nur sehen, sondern auch riechen. Die Bäume und Pflanzen verbreiten charakteristische Düfte, die sich abhängig von der Tages- und Jahreszeit und den Witterungsbedingungen verändern. Betrachtet man die Bepflanzung im Sommer und im Frühling, so bestimmen unterschiedliche Grüntöne das Bild. Im Herbst sind es warme Rot- und Gelbtöne, während im Winter kahle Äste zu sehen sind.
Die organisierte Bepflanzung des Parks ist seit der Errichtung von Melaten ein Hauptaugenmerk der Friedhofsverwaltung. 1809 wurde Ferdinand Franz Wallraf mit der Gestaltung beauftragt. Als Vorbild diente der Pariser Friedhof Père Lachaise, der wenige Jahre zuvor angelegt wurde, heute der größte Friedhof in Paris ist und weltweit als die erste als Parkfriedhof angelegte Begräbnisstätte der Welt gilt.
Für die Bepflanzung von Melaten wurden und werden nur Baumsorten ausgesucht, die hier gedeihen können. So findet man neben Ahorn, Platanen, Rotdorn, Eiben, Linden, Catalpen, Ebereschen und Trompetenbäumen vereinzelte Atlaszedern und japanische Blütenkirschen auf den Alleen. Gras oder weiches Moos bedecken die Wege und Kastanien liegen verstreut herum.

Nicht nur einzelne Grabstätten oder die Kriegerehrenmale sind denkmalgeschützt, sondern die gesamte Parkanlage von Melaten ist ein großes Baudenkmal. 1810 errichtet, wurde die Grünanlage als katholischer Zentralfriedhof außerhalb der damaligen Stadtmauern angelegt. Seit 1829 ist er für alle Religionsgemeinschaften als Begräbnisstätte offen zugänglich. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden mehrere Erweiterungen der streng geometrischen Anlage gebaut. Dazu gehörten Kriegerdenkmäler, Grabstätten samt zugehörigen Grabmälern, Hochbauten und die Bepflanzung neuer Grünflächen. Der Melatenfriedhof ist seit dem 1. Juli 1980 als gesamter Komplex ein Baudenkmal im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 des nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetzes. Notwendig für diese Qualifizierung ist ein öffentliches Interesse am Erhalt und der Nutzung, was durch die lange, aufregende Geschichte von Melaten und die Bedeutung für die Kölner Stadtplanung gegeben ist. Bis 1896 war Melaten der einzige kommunale Friedhof Kölns. In vielfacher Hinsicht ist Melaten künstlerisch sehr bedeutend. So sind die Mauern mit ihren monumentalen Eingansportalen, die alte Trauerhalle von 1888 oder auch die Grünplanung des Parks zu erwähnen. Jedes einzelne Denkmal auf dem Friedhof trägt zur Bedeutung von Melaten als Baudenkmal bei. Seien es die Kriegerdenkmäler oder die vielen aufwendigen Skulpturen und Grabmäler, die von zahlreichen Steinmetzen und Bildhauern gestaltet wurden.

Der Sensenmann und sein Fröschlein

Neben all den großen und faszinierenden Grabstätten findet man auch das eine oder andere Beispiel für die frohsinnliche kölsche Seele, die selbst im Angesicht des Todes optimistische Lebensfreude ausstrahlt. Die Inschrift auf dem Grab von August Broichschütz spiegelt diesen Frohmut wider: "Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er in einer Kneipe neben diesem neoklassizistischen Säulenofen, worauf der Wirt dieses Denkmal errichtete." Gesagt, getan. Auf einem Marmorblock, der die Inschrift und den Namen nebst Geburts-und Sterbedatum enthält, steht die Kopie eben dieses Ofens. Türkis gestrichen und mit Gold verziert. So musste der Stammkunde der Kneipe selbst im Tod nicht auf seinen geliebten Ofen verzichten. Solche Grabmäler, aber auch monumentale Grabstätten, die teilweise über zehn Meter hoch sind, stehen exemplarisch für den großen Unterschied zwischen Melaten und einem normalen Friedhof. Heutzutage kann man solche Skulpturen kaum mehr aufstellen. Einerseits aufgrund der immensen Herstellungskosten, andererseits aufgrund zu vieler Normen, Regelungen und Gesetze, die für einen Friedhof heutzutage gelten.

Welchen Schatz an historischen Bauten Melaten besitzt, wird deutlich, wenn man erfährt, dass sogar die Toilette denkmalgeschützt ist. Das Toilettenhäuschen wurde 1896 erbaut und galt als eines der ersten Wasserklosetts von Lindenthal. Der Neorenaissancebau wurde von F.C. Heimann entworfen und sollte schön und natürlich hygienisch sein. Das Denkmal wurde wie viele Grabstätten und Bauten im Zweiten Weltkrieg beschädigt. Die Bombenschäden, die besonders durch die verheerenden Luftangriffe vom 30./31. Mai 1942 und vom 30./31. Oktober 1944 hervorgerufen wurden, zerstörten nicht nur große Teile von Melaten, sondern auch fast die komplette heutige Innenstadt Kölns.
Zwei Kriegerehrenmale gedenken der gefallenen Soldaten des deutsch-französischen und des deutsch-preußischen Krieges. Ein weiteres, älteres Ehrenmal wurde für die Deutschen errichtet, die unter der Grande Armée Napoleons gefallen sind. Es steht südlich vom alten Hochkreuz und ist im strengen Klassizismus gehalten. Ein antikisierender Helm bildet die Spitze des Denkmals und ihre Inschrift lautet: "Zum Andenken an die unter den Armeen Napoleons fern von ihrer Heimath gefallenen Krieger der Stadt Coeln. Errichtet von ihren heimgekehrten Cameraden am 6. Juli 1853".

Zwischen den aufwendig verzierten Grabmälern findet man auch Skulpturen, die sogar für Melaten außergewöhnlich sind. Das Berühmteste ist wohl die Grabstätte mit dem über zwei Meter großen Sensenmann, der dem Besucher verdeutlicht, dass man sich immer noch auf einem Friedhof befindet und der Tod allgegenwärtig ist. Die Statue ist ein weiteres Beispiel für die teilweise recht ungewöhnlichen Figuren und Schicksale auf dem Melatenfriedhof. Der dargestellte Tod wurde Ende des 19. Jahrhunderts für den wohlhabenden Kaufmann Johann Müllemeister hergestellt. Für die Bewahrung des instabilen Sensenmanns hat in diesem Fall die Steinmetzfamilie mit dem passenden Namen Steinnus gesorgt. Vor über 30 Jahren hat Johann Steinnus die Patenschaft für die berühmte Skulptur übernommen. Mit diesem Grab war Müllemeister tragischerweise schon zu seinen Lebzeiten persönlich verbunden: Wendet man seinen Blick vom schaurigen Skelett ab, erblickt man neben dem Sensenmann einen kleinen Gedenkstein, der nachträglich hinzugefügt wurde. Müllemeisters Sohn Martin starb mit nur elf Jahren. Ein Frosch wurde auf dem Kindergrab platziert, denn der Junge wurde "Fröschlein" genannt.

Das "Kölner Modell"

Der Erhalt denkmalgeschützter Grabstätten gelingt mit einer Initiative zu den bereits erwähnten Patenschaften. Sie wurde 1981 von der Stadtkonservatorin Hiltrud Kier ins Leben gerufen, nachdem sie Ende der 1970er Jahre eine neue Denkmalliste mit ungefähr 2.800 auf ihre Denkmalwürdigkeit überprüften historischen Grabstätten erstellt hatte. Mit einer Patenschaft konnte die Erhaltung der Denkmäler erleichtert werden. Es funktionierte, damals und heute, wie folgt: Wenn man eine historische Grabanlage findet, die beim zuständigen Konservator aufgelistet ist und an der kein Nutzungsrecht mehr besteht, kann man eine Patenschaft über sie übernehmen. Dafür muss man sich verpflichten, die Anlage instand zu setzen und zu halten. Im Gegenzug bekommt man den Anspruch auf eine Beerdigung an der entsprechenden Grabstätte. Die zu zahlenden Nutzungsgebühren müssen erst entrichtet werden, wenn man an der Stelle beerdigt wird. Mittlerweile wurde das unbürokratische System erfolgreich in weiteren Städten als das "Kölner Modell" übernommen.

Doch es gibt auch Kritik an der Patenschaft-Methode. Immer mal wieder werden Gräber abgeräumt, ohne die Angehörigen zu informieren. Ein prominentes Beispiel ist der bedeutende Kölner Maler Anton Räderscheidt, dessen Grab 2010 versehentlich eingeebnet wurde – geplant war die Abräumung der Grabstätte "Radeschadt". Dies ist kein Einzelfall. Jedes Jahr werden Grabmäler entfernt, obwohl sie unter Denkmalschutz stehen. Manchmal sind es Versehen, doch der berühmte Kölner Klüngel macht auch nicht vor seinem bedeutendsten Friedhof halt. Laut internen Aussagen "müsse man einfach nur genug Geld besitzen", um sich einen Platz auf Melaten zu kaufen. Alte Grabsteine würden nach Wunsch abgeschliffen und neue Inschriften platziert. Denkmalschutz hin oder her. Meistens werden solche Vergehen erst gar nicht bemerkt, da viele Verstorbene keine Angehörigen mehr haben, die die Gräber pflegen. Ab und zu soll es aber doch vorgekommen sein, dass ältere Damen ihren verstorbenen Ehemännern neue Blumen bringen wollten und dessen Grabstätte nicht mehr finden konnten.

Du, bald der Unsrige

Langsam wird es dunkel auf dem Melatenfriedhof und immer weniger Menschen schlendern durch die Grünanlage. In manchen verwunschen aussehenden Ecken ist es schon stockfinster. Fledermäuse ziehen vereinzelt durch die Baumkronen. Man geht noch einmal an der japanischen Blütenkirsche vorbei. Im April wird sie wieder blühen. Kaninchen huschen über die nun freigewordene Allee, die im Mondschein einen hervorragenden Schauplatz für ein Shakespeare-Drama geben würde. Man betritt die Aachener Straße durch das westliche Haupttor und betrachtet noch einmal die mittelalterlichen Inschriften. TRANSI NON SINE VOTIS MOX NOSTER. Geh' nicht vorüber ohne fromme Gebete, Du, bald der Unsrige.


AUTOR: PHILIPP FIETE OBERKALKOFEN

Der Melatenfriedhof ist kein gewöhnlicher Friedhof, denn hierhin kommt man gerne. Sei es für einen Spaziergang durch die wunderschöne Parkanlage oder das Bestaunen der Grabmalkunst. Jeder Besuch lohnt sich – findet Fiete.