DER KELLER VON KÖLN - UNTERWEGS IM UNTERGRUND

Wer in Köln gräbt, wird meistens fündig. Was mit den Hinterlassenschaften vergangener Kulturen passiert, wird in jedem Fall individuell entschieden. Oft werden sie zu unterirdischen Bodendenkmälern und für Besucher erlebbar gemacht.

Was sich unter der unscheinbaren Luke aus schwerem Metall am Rande der Grünanlage des Theodor-Heuss-Rings verbirgt, wissen wohl die wenigsten der Menschen, die hier vorbeikommen. Dort geht es über 22 steile Stufen sieben Meter hinab in Kölns Untergrund. Unten angekommen erwartet einen neben aufdringlichem Geruch und hoher Luftfeuchtigkeit das Bodendenkmal Nr. 464. Genauer gesagt, ein Kronleuchtersaal inmitten des Kanalisationssystems der Innenstadt. Ein skurriler Ort, denn Kronleuchtersäle verbinden die Meisten wohl eher mit Versailles oder wenigstens dem Gürzenich. Doch der Kronleuchtersaal ist mit seinem Gewölbe aus glasiertem Ziegelmauerwerk ein Teil des Kölner Kanalisationssystems und zugleich bedeutendes Zeugnis technisch ausgereifter Ingenieurplanung des 19. Jahrhunderts. Und so entschloss man sich bei den Stadtentwässerungsbetrieben Köln (StEB), den Kronleuchtersaal 2004 zum Denkmal zu machen. Er ist ein Zeitzeuge der Neuzeit", argumentiert ein Sprecher der StEB. "Der bauliche Zustand und die Architektur spiegeln heute noch die hohe handwerkliche Kunst der Baumeister von damals wider."

StEB
Der Kronleuchtersaal Foto: StEB

Pfefferminzsträußchen gegen den Gestank

Das 4,60 Meter hohe Gewölbe trotzte zwei Weltkriegen und vielen unruhigen Zeiten. Bis heute blieben Aussehen und Funktion als Überlaufbecken unverändert. Lediglich die Original-Kronleuchter wurden durch elektrische ersetzt. Zur Einweihung 1890 war Kaiser Wilhelm II. geladen und die Stadt hängte ihm zu Ehren die Leuchter auf. Leider kam der Kaiser nie. Dafür kommen die Menschen heute in den Genuss der beeindruckenden Szenerie. Denn im Sommer werden regelmäßig Führungen angeboten, in denen die Funktionsweise des Kanalsystems sowie die historische Bedeutung erläutert werden. Doch nicht nur dafür wird dieses besondere Denkmal genutzt. Wer Glück hat, kann auch Karten für die wenigen Jazz- oder Klassikkonzerte ergattern. Das ist wohl weltweit der einzige Ort, an dem wohlklingenden Melodien gelauscht wird, während das Abwasser der umliegenden Häuser träge und gemütlich vorbeizieht. Wahrscheinlich ist es der besondere Klang oder einfach nur der Wunsch, etwas Besonderes zu erleben, der die Menschen seit über zehn Jahren animiert, sich in die Kanalisation zu begeben. Aufgrund der Feuchtigkeit und der Gase dauern die Konzerte nicht länger als 45 Minuten und es werden Pfefferminzsträußchen für die empfindlichen Nasen gereicht. Eine finanzielle Unterstützung für das Denkmal sind die Konzerte aber nicht. Die Einnahmen decken nicht die Kosten. Dadurch, dass neben den Konzerten auch Informationen über die Arbeit der StEB und die Wichtigkeit der Abwasserableitung sowie -reinigung vermittelt wird, werden die Kosten dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit zugeordnet.

Erfassung, Erforschung und Erhaltung

Verglichen mit anderen Bodendenkmälern in Köln ist der Kronleuchtersaal ein sehr junger Zeuge seiner Zeit. Wer in Köln anfängt zu graben, wird meist fündig. Schätze aus dem Mittelalter oder ganze Bauten aus der Römerzeit kommen da zu Tage. So wird eine Baustelle schnell mal zur Ausgrabungsstätte und ruft die Archäologen auf den Plan. Sie stehen mit der Bodendenkmalpflege in einem engen Verhältnis. Denn diese meist unsichtbar unter der Erde gelegenen Hinterlassenschaften vergangener Kulturen erfordern für ihren Denkmalschutz besondere Verfahren und Maßnahmen. Dies ist eine Aufgabe, die von den Denkmalschutzgesetzen der Bundesländer den archäologischen Fachämtern aufgetragen ist. Dabei immer im Fokus: Erfassung, Erforschung und Erhaltung für die Nachwelt. Das steht jedoch nicht unbedingt im Einklang mit den wirtschaftlichen Interessen des Bauherren.

Zeitgeschichte gegen ein paar Parkplätze

So muss es wohl auch im Fall der Ausgrabungen neben der Kirche Groß St. Martin in der Innenstadt gewesen sein. Wenn Horst Heller über die Ausgrabungen des römischen Wasserbeckens aus dem 1. Jahrhundert spricht, schwingt auch Unverständnis mit. Horst Heller ist Ingenieur und war als Baudirektor im Ministerium in Bonn tätig. Archäologie betrieb er schon immer als Hobby. In seinem Ruhestand ist er nun Ansprechpartner für die Ausgrabungen unter Groß St. Martin. Dafür ist er ehrenamtlich mindestens einen Tag in der Woche vor Ort. "Vor fünf Jahren wurde die Kirche von einem neuen Orden übernommen, die aus Frankreich kommen und nichts über die Ausgrabungen wissen", erklärt Horst Heller. Im August, wenn alle weg sind, hält er hier einen Monat lang zusammen mit seiner Frau die Stellung und verbringt seinen Sommer quasi unterirdisch. "Inzwischen kenne ich mich hier ganz gut aus", verrät er. Die Kirche wurde während des Zweiten Weltkrieges fast komplett zerstört. Beim Wiederaufbau in den 1960er Jahren wurde man neugierig, was sich unter der Kirche befindet. Als einzige romanische Kirche in Köln besitzt sie nämlich keine Krypta, also einen Raum unter dem Altar. Der Boden war sowieso zerstört und das passende Gerät zur Hand. Bei der Probegrabung quer durch die Kirche wurden mittelalterliche und römische Fundamente entdeckt. Ein Doppeldenkmal sozusagen. Im Innenraum fanden daraufhin von 1965 bis 1970 Ausgrabungen statt. Von 1973 bis 1978 beteiligte sich unter anderem das Römisch-Germanische Museum an Ausgrabungen um die Kirche herum. Neben den mittelalterlichen Mauern kamen dabei ein 34 Meter langes und 17 Meter breites römisches Wasserbecken sowie römische Lagerhallen zum Vorschein.

Wasserbecken
Römisches Wasserbecken Foto: Rebekka Martin

Allerdings sind heute nur noch rund ein Zehntel der Ausgrabungen sichtbar und erhalten. "Es ist ein verschwindend kleiner Teil", bestätigt Horst Heller. "Als alles dokumentiert war, wurde das, was außerhalb der Kirche lag, abgerissen und eine Tiefgarage gebaut. Wirklich grausam." Außerhalb Italiens war dieses das weltweit einzige Becken, welches komplett erhalten war. "Aber für diese sieben bis acht Parkplätze wurde es eben geopfert", bemerkt Heller. Dabei hätte man die Tiefgarage integrieren können, ohne das Wasserbecken dabei zu zerstören. Aber in Zeiten des Wiederaufbaus hielt man sich mit solchen Dingen nicht auf. Der Eigentümer der noch vorhandenen Ausgrabungen unter der Kirche ist das Erzbistum Köln, das die Kirche an den Orden vermietet. Wirklich verantwortlich für das Denkmal fühlt sich aber niemand. "Das ist mal schön ausgegraben worden, aber nun kümmert sich keiner mehr", merkt Heller an. Schulklassen ritzten ihre Initialen in die alten Steine. Repariert wurde das nie. Horst Heller spannte daraufhin ein Seil davor. Er kümmert sich auch um die Beleuchtung. Kein Problem für einen Ingenieur. Da fällt ihm ein, dass es mal einen Wassereinbruch gab. Die Schäden wurden nach anderthalb Jahren repariert. "Ich darf also nicht behaupten, dass nie etwas gemacht wird", meint er augenzwinkernd und lacht dabei. Der Eintritt zu den Ausgrabungen kostet 50 Cent und die Einnahmen verbleiben bei dem Orden.

Die Dinge sind am besten im Boden geschützt

Auch ein Teil des Praetoriums, des größten Gebäudes des frühen römischen Kölns, ist nach der Entdeckung einer Tiefgarage zum Opfer gefallen. Das Praetorium diente als Statthalterpalast und die ersten Phasen des Baus liegen in der Zeit um Christi Geburt. Die Stadt Köln höchstpersönlich ist Eigentümerin, und Mitarbeiter des Römisch-Germanischen Museums betreuen das Denkmal. Auch hier förderte der Wiederaufbau nach dem Krieg das Denkmal zutage. Der Spanische Bau am Rathaus sollte wiederhergestellt werden, beim Entschutten wurden die Mauern gefunden. Daraufhin wurde der geplante Bauablauf geändert. Der Archäologe Otto Doppelfeld bekam sechs Monate Zeit, um den Bereich auszugraben, der bis heute sichtbar ist. "Er hat parallel zum Bau noch schnell ausgegraben. Das Ganze im Jahr 1953, das ist schon eine Leistung gewesen", bemerkt Michael Wiehen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und örtlicher Grabungsleiter der Archäologischen Zone und des Jüdischen Museums. Das Praetorium gehört zu seiner Dienststelle. Doppelfeld setzte sich auch infolge der Ausgrabungen für den Erhalt und den Schutz der Entdeckungen ein. So wurde der Ort Ende der fünfziger Jahre zum Museum. Seitdem ist das Praetorium zusammen mit dem 100 Meter langen römischen Abwasserkanal ein erlebbares Denkmal, durch das man hindurch gehen kann. "Klar schauen wir, dass niemand anfängt zu klettern oder Steine herauszuklopfen, aber im Prinzip wollen wir den Reiz des Erlebbaren erhalten", so Wiehen.

Stadt Köln
Praetorium Foto: Stadt Köln

Geplant ist eine unterirdische Erweiterung bis zum Wallraf-Richartz-Museum. Das Praetorium soll auf bis zu 10.000 Quadratmeter vergrößert werden, um so einen Rundgang durch die ganze Stadtgeschichte zu ermöglichen. Im Mittelalter lag dieses Gebiet nämlich nicht in der Innenstadt, sondern mitten im jüdischen Viertel. "Doppelfeld hat damals, um das römische Köln auszugraben, im Prinzip die mittelalterlichen Fundamente zerstört. Das ist auch Umgang mit Denkmal", erklärt der Grabungsleiter. "In den fünfziger Jahren gab es keine Mittelalter-Archäologie, das hatte niemand auf dem Schirm und es war unwichtig." Bei der aktuellen Ausgrabung geht es deshalb viel chaotischer zu, weil alles gleichwertig dokumentiert wird: Neuzeit, Mittelalter, Römerzeit. Wenn beispielsweise ein interessanter mittelalterlicher Boden entdeckt wird, wägen die Wissenschaftler ab, ob er bleibt oder weitergegraben wird. Es ist aber auch oft eine Aufgabe der Archäologen, das zu dokumentieren, was anschließend zerstört wird. Das Denkmal wird dann in eine andere Form wie Zeichnungen, Beschreibungen oder Fotos überführt. Nötig für den Bodendenkmalschutz sind Ausgrabungen also nicht. Die Dinge sind im Boden am besten geschützt. Doch nur so können sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wenn ausgraben wird, sollte dies mit der nötigen Vorsicht getan und auch anschließend für die Konservierung gesorgt werden. Ist ein Bodendenkmal erst einmal ausgegraben, ist die Denkmalpflege meist unkompliziert. Wiehen erzählt lachend: "Das Denkmal ist schlicht und einfach da."

Den Ort zu etwas Besonderem machen

Im römischen Abwasserkanal allerdings kämpft man mit hoher Luftfeuchtigkeit in Verbindung mit Licht. Das fördert Algenwachstum und verändert die Oberfläche des Steins. "Man will in der Denkmalpflege eigentlich verhindern, immer wieder dranzugehen", erläutert der Wissenschaftler. Häufiges Reinigen würde die Oberfläche verändern, und deshalb wird darauf verzichtet. Im zukünftigen Museum soll dieses Problem über das Licht geregelt werden. Lampen mit bestimmten Wellenlängen können Algenwachstum verhindern. "Im Zuge des neuen Museums wird hier viel ausgebessert werden, einiges ist auf dem Stand der fünfziger Jahre." Die Finanzierung läuft über die Stadt Köln. Lediglich für die Mikwe, ein jüdisches Ritualbad, welches in 17 Meter Tiefe besichtigt werden kann, wurden europäische Fördermittel zur Verfügung gestellt. Einmal im Jahr, zur Museumsnacht Köln, werden auch im Praetorium die alten Mauern mit Musik gefüllt. "Hunderte von Menschen, die hier moderne Musikkunst erleben können – fantastisch", schwärmt Wiehen. Auch der Westdeutsche Rundfunk hat schon einmal die SoundART im Praetorium veranstaltet. Das sind besondere Dinge, die so einen Ort auch ausmachen. Wichtig ist, zu erkennen, wie ein Denkmal am besten genutzt werden kann, damit es eben nicht einfach nur Mauern sind.

Die hier erwähnten Denkmäler sind längst nicht alle unterirdischen Schätze der Stadt. Auch im Dom geht es beispielsweise 16 Meter in die Tiefe. Interessierten ist die Führung "Glück Auf - Köln von unten" zu empfehlen.


AUTORIN: REBEKKA MARTIN

Inmitten der Stadt ist das Fort X für Rebekka eine Ruheoase mit besonderer Atmosphäre. Die historischen Mauern werden von Pflanzen und Bäumen umrankt und verwandeln die alte Wallanlage zu einem verzauberten Plätzchen. Manchmal fährt sie sogar extra einen Umweg mit dem Rad, nur um dort vorbeizukommen.