Bänke raus, Boxen rein. Eins zwei, eins zwei – Mikrofon funktioniert. Ein Akkord auf der E-Gitarre lässt die Wände rund um den Altar vibrieren. An mindestens zwei Abenden die Woche wird die Lutherkirche in Köln-Nippes zum Veranstaltungsort – unter anderem für Rockkonzerte. Wie sich Rock, Religion und Denkmalschutz vereinbaren lassen und warum Sänger Bill Callahan erst von der Kulturkirche überzeugt werden musste.
Es ist schon ungewöhnlich, wenn eine 25-jährige Frau sagt: "Heute Abend gehe ich in die Kirche." Für Anna, die im Stadtteil Köln-Nippes wohnt, nicht. Sie geht regelmäßig zu Veranstaltungen in die Siebachstraße 85. Ihr Highlight dort war das Konzert von Queens Of The Stone Age. "Eine solche Band in einer Kirche auftreten zu sehen, war der absolute Wahnsinn!", schwärmt sie. Für die Besucher der Kulturkirche Köln ist die Lutherkirche als Veranstaltungsraum seit 2002 inzwischen eine etablierte Location, um Autoren, Bands oder Kabarettisten zu bestaunen.
Seit Dezember 1981 ist die Lutherkirche denkmalgeschützt. Ein Denkmal vorübergehend "umzunutzen", um dort zum Beispiel außerhalb von Gottesdiensten auch Konzerte zu veranstalten, ist eigentlich nichts Besonderes. Kirchen dienten schon immer als Identifikationsfläche für Gemeinden und auch für Künstler. Kirchengebäude an sich, mit ihren enormen Schätzen und Kunstwerken, sind schon seit langer Zeit der Ausdruck dafür, dass Kirche und Kultur zusammengehören. Die evangelische Lutherkirche unterscheidet sich von vielen anderen evangelischen Kirchen in der näheren Umgebung. Ihr Aussehen mit einem hohen Turm, gotischen Fenstern sowie dem Holzportal an der Turmfassade machen die Lutherkirche zu einer einmaligen evangelischen Kirche.
Tagsüber Lutherkirche – abends Kulturkirche
Mit ihrem seltenen neogotischen Bau von 1889 war die Lutherkirche schon immer ein außergewöhnlicher Ort, auf den viele Gemeindemitglieder stolz waren. Der Pfarrer der Lutherkirche, Thomas Diederichs, erinnert sich, dass Mitte der neunziger Jahre ambitionierte Musiker und Künstler aus der Umgebung den Startschuss für die Kulturkirche gaben. "Sie räumten einfach die Kirche leer und befreiten sie von ihren schweren Holzbänken, nur aus einem einzigen Grund: um die Lutherkirche einfach mal ‚pur' zu genießen. Das Publikum sollte die Wirkung des Kirchenraums völlig neu spüren", berichtet er. Die Reaktionen des Publikums waren so positiv, dass sich die Idee entwickelte, die Lutherkirche an den Abenden, an denen kein Gottesdienst stattfindet, nicht länger leer stehen zu lassen. "Quasi eine Form, spielerisch auf die Vorstellung des modernen Menschen von Kirche einzugehen und so die Möglichkeit zu bieten, sich mit dem Thema Kirche anders auseinanderzusetzen als sonst", meint Diederichs.
Final umgesetzt wurde das Konzept der Kulturkirche dann 2002. Seitdem dienen die Räumlichkeiten der Lutherkirche als professioneller Veranstaltungsort, der an mindestens zwei Abenden pro Woche keine religiösen Inhalte vermittelt, sondern besonderen kulturellen Ereignissen einen ganz besonderen Raum gibt. Das ist für die Gemeinde auch ein zusätzlicher Weg, Geld einzunehhmen. "Natürlich funktioniert das Ganze nur dank der vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich sowohl um die Technik als auch um die Öffentlichkeitsarbeit und die Organisation kümmern", betont Diederichs. Von Veranstaltung zu Veranstaltung wurden die Gegebenheiten und auch das Niveau der Kulturkirche immer besser. So wuchs nicht nur die Erfahrung im Umgang mit der Technik, sondern auch das Team. Inzwischen wirken bei großen Veranstaltungen bis zu 40 ehrenamtliche Helfer mit.
Die Kulturkirche hat sich als Veranstaltungsraum inzwischen einen Namen in der Umgebung gemacht. Das technische Equipment ist auf dem allerneuesten Stand und durch die außergewöhnliche Location werden auch immer mehr internationale Künstler angelockt. Ed Sheeran oder auch die Arctic Monkeys spielten bereits in der Kulturkirche und waren begeistert. Auch das Publikum ist immer wieder hingerissen von der Kirche als Veranstaltungsraum. "Es ist Wahnsinn, in einer Kirche ein Konzert von einem internationalen Künstler mitzuerleben, die Akustik und der Kirchenraum haben etwas Magisches und die Atmosphäre hier ist so intim", erzählt Claudia, die ein Konzert von dem Sänger Ed Sheeran in der Kulturkirche erlebt hat. Durch Partnerschaften mit dem WDR oder dem internationalen Literaturfestival lit.Cologne kommen regelmäßig Veranstaltungen in der Kulturkirche zustande. Die Bekanntheit der Kulturkirche lockt auch neue Besucher in den Gottesdienst. "Immer wieder entdecke ich neue Gesichter, sie wollen wohl herausfinden, ob wir das hohe Niveau auch sonntags in den Gottesdiensten halten", sagt Pfarrer Diederichs. Dabei konnte in den letzten zehn Jahren die Besucherzahl verdoppelt werden. "Inzwischen sind es über 12.000 pro Jahr" berichtet er.
In finanzieller Hinsicht werden aber die Lutherkirche und die Kulturkirche voneinander getrennt. Die Lutherkirche wird von der Gemeinde selbst und den Kirchensteuern finanziert. Die Kulturkirche finanziert sich nur aus den Einnahmen der Veranstaltungen. Jedes Event kostet zwischen 700 und 2.000 Euro. "Trotz der hohen Summen konnten wir Ende des Jahres schwarze Zahlen schreiben", so Diederichs.
Bänke raus und Stühle rein
Für die Gemeindemitglieder sind Veranstaltungen in der Kulturkirche nichts Besonderes mehr. Sie haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass es an einigen Sonntagen vorkommt, nicht wie gewohnt auf den hölzernen Kirchbänken zu sitzen, sondern auf den Konzertstühlen vom Vorabend. "Außerdem bringen die Veranstaltungen auch einen großen Vorteil mit sich", verrät der Pfarrer, "die Akustik während der Gottesdienste ist außergewöhnlich gut!"
Ein Denkmal wie die Lutherkirche zu einer Kulturkirche "zweitzunutzen" spricht ein altersunabhängiges Publikum an. Der Pfarrer ist stolz auf seine Helfer, das Konzept und die Etablierung der Kulturkirche in Köln-Nippes. Egal wie international die Künstler sind, die in der Kulturkirche spielen, eins lässt sich der Pfarrer nicht nehmen: Er kündigt jeden Künstler selbst an. Auch, wenn das manchmal Überredungskünste kostet, wie bei dem Sänger Bill Callahan, aber gebrochen wurde das Ritual noch nie.
Bei der nächsten Veranstaltung wird es also wieder heißen "Wir freuen uns auf einen ganz besonderen Abend mit …" und das Publikum darf sich freuen, in einer ganz besonderen Kirche ein ganz besonderes Konzert oder eine ganz besondere Lesung zu erleben.
Seit knapp drei Jahren geht Sabine in diesem Denkmal – manchmal fast täglich – ein und aus und ist begeistert, wie schön man an der FH Köln studieren kann. Schade nur, dass es bald vorbei ist.